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Wie eine Chinesin in der Schweiz zu improvisieren lernt

Die Pipa-Virtuosin Yang Jing ist eine Allrounderin. An den «Tagen für Musik zwischen den Welten» bietet sie Einblicke in ihre Kultur

Markus Ganz

Tage für Musik Jing YANG.NZZ Die chinesische Pipa-Spielerin Yang Jing ist hungrig nach neuen
Ausdrucksmöglichkeiten. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Welch eine Vielfalt! Die Zürcher «Tage für Musik zwischen den Welten» bieten ein Programm, das von der chinesischen Tradition über Jazz bis zu Barock und neuer Musik reicht. Noch erstaunlicher ist aber, dass dahinter eine einzige Person steht, die die Genres gewandt zu verbinden versteht: die seit 2003 in der Schweiz lebende chinesische Komponistin und Pipa-Virtuosin Yang Jing. Die meisten dargebotenen Stücke hat sie auch selbst geschrieben.

Schon früh wollte Yang Jing mehr, als von ihr erwartet wurde. 1963 in der zentralen chinesischen Provinz Henan geboren, brachte sich die Musikerin das Spiel auf der lautenartigen Pipa als Kind selbst bei und spielte sie bereits im Alter von 13 im Orchester der Henan-Oper. Bald begann sie selbst zu komponieren. Die Ausbildung am Konservatorium in Schanghai habe ihr nicht genügt, erklärt sie. «Ich habe mir damals eigenmächtig Schallplatten aus der Bibliothek ausgeliehen, um während der Nacht neue Musik zu entdecken, vor allem sinfonische Werke aus dem Westen.»

Eine Art Offenbarung

1986 wurde Yang Jing Pipa-Solistin im chinesischen Nationalorchester. Das sei damals das Höchste gewesen, was sie in China habe erreichen können. Sie habe das Privileg zu schätzen gewusst, deshalb im Ausland auftreten zu können. Sie sei aber enttäuscht gewesen, dass keine neuen Stücke gespielt wurden, auch ihre eigenen Kompositionen nicht. Mit Kollegen organisierte sie deshalb eine eigene Konzertreihe in einem Teehaus in Peking. So lernte sie Leute aus aller Welt kennen.

Der VW-Konzern unterstützte die Konzertreihe und holte Yang Jing für einen Auftritt nach Deutschland. «Das hat mir den Mut gegeben, mich dann 1998 ganz selbständig zu machen», erinnert sich die Chinesin. Kurz darauf wurde sie dann von einer japanischen Agentur unter Vertrag genommen. Japan wurde nun für viele Jahre zum Mittelpunkt ihrer Karriere, sie trat dort in prestigeträchtigen Sälen wie der Suntory Hall in Tokio auf. Zunehmend wichtig wurde für sie aber auch die Schweiz. 1999 besuchte Yang Jing ein Konzert des Schlagzeugers Pierre Favre und der Pianistin Irène Schweizer in Peking. «Das war für mich wie eine Offenbarung, ihr improvisierendes Zusammenspiel hat mir neue Möglichkeiten aufgezeigt.» Yang Jing organisierte bald eine gemeinsame Tournee mit Pierre Favre in China – und dieser eine ebensolche in der Schweiz.

«Okay, leg mal los», sagte der Schweizer beim ersten gemeinsamen Auftritt – für sie ein Schock! Bis anhin habe sie nur gespielt, was bereits tausendfach geübt und geprobt worden sei. Sie habe sich orientierungslos gefühlt und an ihren Einlagen gezweifelt. «Eigentlich war mir nicht recht bewusst, was ich eigentlich spielte.» Favre hingegen war sehr zufrieden mit ihr. «Vielleicht waren meine Aktionen gut, gerade weil ich unbewusst spielte?»

Yang Jing lernte damals, sich neuen Impulsen zu öffnen. Beeindruckt war sie von dem Respekt, den Pierre Favre ihr gegenüber, einer jüngeren Musikerin, gezeigt habe und bis heute zeige. Diese Art von künstlerischer Achtung schätze sie ganz allgemein in der Schweiz, das ermögliche einen wahren Dialog, nicht nur in der Musik. Das Leben in der Schweiz weckte aber auch das Interesse an der Schweizer Folklore, in ihren Konzertprogrammen präsentiert Yang Jing zuweilen auf witzige Weise adaptierte Volkslieder. Den Einklang mit der Natur, den sie aus der Schweizer Volksmusik heraushöre, kenne sie sehr gut auch aus der chinesischen Kultur.

Zwischen Ost und West

Die stilistische Vielfalt widerspiegelt nicht nur Yang Jings Identitätssuche zwischen Ost und West. Sie gesteht lachend, dass sie geradezu hungrig nach neuen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten sei, um ihr Vokabular als Komponistin zu erweitern. «Letztlich ist aber entscheidend, dass man etwas zu sagen hat und dies auch klar ausdrückt.»

Yang Jing vergisst dabei nie die Situation des Publikums. Musik sei schliesslich nicht nur Musik, sondern eine Reflexion über Menschen und Gefühle, in ihrem Fall nicht zuletzt über ihre Heimat China. Deshalb wird es nun an den Festivalkonzerten jeweils ein einführendes Gespräch geben mit den eingeladenen Musikern sowie mit China-Spezialisten wie dem langjährigen China-Korrespondenten Peter Achten, dem in Peking lehrenden Wirtschaftsethiker Stephan Rothlin, den Ethnologen Mareile Flitsch und Rolf Probala und Dominique Dreyer, dem ehemaligen Schweizer Botschafter in China. Sie alle sollen Yang Jing helfen, China zu erklären und Missverständnisse auszuräumen.

Zürich, Theater Stok. Konzerte am 18. und 22. September mit dem Belenus-Quartett, am 19. September mit Viviane Hasler und Jan-Filip Tupa, am 20. September mit Daniel Schnyder und Raetus Flisch, am 21. September mit Pierre Favre und am 23. September mit Günter Wehinger und Peter Doppelfeld.

Aus dem NZZ-E-Paper vom 17.09.2018

PDF der gedruckten Version der NZZ vom 17.09.2018

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